Nothing to write home about


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Meine tapfere Katze muss wieder mal einige Tage lang eine Halskrause tragen, und wie immer, wenn sie dieses ungeliebte Plastikungetüm umgehängt bekommt, ist sie überaus anhänglich. In solchen Phasen kann ich wohl am ehesten nachvollziehen, wie sich jemand fühlen muss, der glaubt, auf Schritt und Tritt verfolgt zu werden.

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„Nein, nein, der Handkantenschlag an den Hals ist kein Mythos. Richtig ausgeführt, kann er tatsächlich einen Angreifer außer Gefecht setzen und sogar töten. Aber egal, wer Sie bedroht, ich würde Ihnen nicht dazu raten, es damit zu versuchen. Nehmen Sie lieber Ihre Beine in die Hand und laufen Sie, was das Zeug hält. Haben Sie das Gefühl, Sie leiden unter Blähungen?“

– was man nicht unbedingt von seinem Arzt hören möchte, Teil 3

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Nach einigen Minuten angestrengten Nachdenkens wurde mir heute Früh, im Schwebezustand zwischen Schlaf und Wachen, endlich klar, wer ich bin – bis ich vollends erwachte, es wieder vergaß und mir, wie jeden Tag, unerbittlich die für mich bestimmte Identität übergestreift wurde, mit der ich gezwungen bin, dieses Leben zu bestreiten.

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Manchmal bevölkern Dutzende Tauben die gegenüberliegende Fassade, manchmal aber ist keine einzige dort zu sehen. Ich frage mich, ob sie noch andere Karawansereien haben, die sie regelmäßig aufsuchen, in einer genau festgelegten Abfolge, die sich mir niemals erschließen wird.

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Ich wünschte nur, ich wäre in Streitgesprächen ebenso schlagfertig, wortgewandt und unerschütterlich wie jene Stimme, die in meinem Kopf imaginierte Debatten bis zu ihrem logischen Ende ausficht – und dabei den Standpunkt meines eingebildeten Gegners vertritt.

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„Ich möchte nicht völlig verschwinden. Ich will diese Spur hinterlassen, auch wenn sie unvollständig ist.“

– Mohamed Mbougar Sarr, Die geheimste Erinnerung der Menschen

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Das Schlimmste an der Schlaflosigkeit ist nicht die Tatsache dass man mit der Zeit körperlich und geistig völlig aus dem Tritt gerät sondern dass es keine Pausen vom Leben mehr gibt keinerlei Zäsuren um diesen gewaltigen Brocken in zumindest halbwegs verdaubare Bissen zu zerteilen und man sich ob des endlosen Stroms an Reizen und Informationen schließlich so fühlt als befände man sich in einem Sprintrennen ohne Ziellinie auf einem Tauchgang ohne Sauerstoff in einem viel zu langen Satz ohne Interpunktion

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In vielen Träumen gibt es eine Art Souffleur, der dir, wenn nötig, eingibt, was zur Hölle hier gerade gespielt wird.

Gedicht der Woche

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„Ich kannte einen, der kannte nichts
Dunkleres als das Licht, das er ein Leben lang
untersuchte mit kurzsichtigen Augen.
Er vertiefte sich in den dichten Schatten
des Talmud und feilte wie ein Tagelöhner
an den bärtigen Schriften der Gnosis
bis er selbst wie einer der Buchstaben aussah,
die Gott nicht erkennen.
Von ihm lernte ich, woher das Licht kommt,
auf den Bildern Vermeers, das sich nie wiederholt.
Seine klugen, kurzen Essays über den Winkel,
die Ecke, den Schleier werden von Faltern gelesen,
die aus gelehrten Büchern aufsteigen,
sein Roman in Fragmenten bleibt unerhört.
Wir besuchten täglich den Brunnen, in den,
wie es hieß, die Magd gefallen war
beim Betrachten der Sterne, und nichts
konnte ihn stärker erschüttern als die Ameisen,
die den Erdball rotieren ließen.
Als die Kerze erlosch, in deren Schein
er all seine Schriften verfaßte, ergab er sich
endlich dem Licht, an das er nicht glaubte.“

– Michael Krüger, Schatten und Licht

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Die Lücke, die das kürzlich verliehene Buch hinterlassen hat, mag klein sein, doch der Eindruck, das Regal grinse mich seit der unvermittelten Extraktion geradezu hämisch an, bleibt.

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Nichts vermag meine gelegentlichen klaustrophobischen Anfälle mehr zu lindern als dieser tiefhängende dichte Nebel, der mich zumindest eine Zeitlang von den steinernen Ungetümen befreit, die diese Stadt umzingeln.

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Irgendwann werden die Scharen an Tauben, die immer wieder an der Fassade des gegenüberliegenden Hauses Halt und auf dessen Fensterbänken und Vorsprüngen Rast machen, ihre Schwingen ausbreiten und bei ihrem Abflug das ganze Gebäude mit auf ihre letzte Reise nehmen.

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Je kleiner eine Kreatur, desto weniger Bedeutung messen wir ihrem Leben und auch ihrem Tod bei. Ein einzelner am Strand verendeter Wal ist eine Katastrophe, eine Masse an leichtfertig zerdrückten Fruchtfliegen in der Küche hingegen nicht mal das Bewusstsein wert, gerade eine ganze Dynastie ausgelöscht zu haben, einfach so, ohne nachzudenken.

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„Lass mal sehen, den Befund … murmelmurmel … ah ja … murmelmurmel … spekulativ … auch spekulativ … murmelmurmel … oha. Ja, das sollte man sich definitiv mal ansehen … murmelmurmel … ok. Sonst noch was?“

– was man nicht unbedingt von seinem Arzt hören möchte, Teil 2

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Als erfahrener Hypochonder an der Schwelle zu einem gewissen Alter ist es nicht eben leicht, jedes neuartige Zwicken und Ziehen richtig einzuordnen und die Ruhe zu bewahren. Als wäre dieses unangenehme, mit Sicherheit tödliche Stechen nahe der Herzgegend, das mich garantiert in den nächsten Stunden dahinraffen wird, nicht alleine schon schlimm genug.

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Meine Erkältung lässt mich, auch nach Wochen, einfach nicht los. Und ich bin unschlüssig, ob ich sie wegen ihres eindrucksvoll bewiesenen Durchhaltevermögens bewundern oder wegen ihrer offensichtlichen Verlustängste bedauern soll.

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Ja, das Licht mag stärker sein, aber die Dunkelheit ist ausdauernder. Geduldig wartet sie darauf, bis ihre Zeit kommen, bis das Licht, völlig entkräftet ob der ständigen Verteidigungsschlachten gegen die sie seit Äonen belagernden Schatten, endlich und endgültig zusammenbrechen wird. Und dann ist sie da, die Finsternis, und wird alles verschlingen, ohne Ausnahme, ohne Erbarmen.

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„Er gab sein Leben für diesen einen, einzelnen Stein.“

– mögliche Grabinschrift, Teil 4

Gedicht der Woche

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„Das stille Lachen
Der Sterne
Am Nachthimmel
Sagt uns alles
Was wir wissen müssen“

– Charles Simic, Astronomiestunde

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Am Wochenende das neue Bett von Ikea zusammengezimmert. Alles lief wie erwartet, wir haben während des ganzen Streitens kaum miteinander aufgebaut.

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„Ich wusste, wenn ich diese Grenze zwischen Dunkelheit und Licht überschreite, gibt es kein Zurück mehr.“

– Péter Nádas, Der eigene Tod

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Die Katze kommt zu mir, maunzt mich an und tritt rücksichtslos auf mir herum, bevor sie lautstark Zugang zu ihrem angestammten Platz in der mithilfe meiner Beine und einer Decke geschaffenen temporären Höhle fordert, wo sie genau so lange liegen bleibt, bis es in der Küche vermeintlich verdächtig zu rascheln beginnt, worauf sie sich, in der Hoffnung auf einen (weiteren) Leckerbissen, aus ihrem Unterschlupf bequemt und mich wieder verlässt, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Und ich könnte nicht zufriedener sein.

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Der Kater ist, wie jeder seiner Artgenossen, des Öfteren unschlüssig, ob er nun raus oder rein will. Dementsprechend befindet er sich nicht selten gleichzeitig in der Wohnung und am Balkon, und während man die Tür aufhält und friert, kann man nichts weiter tun als zu warten und Schrödinger zu verfluchen.

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Ich finde es immer wieder erstaunlich, welch geradezu höllischen Lärm ein so hochentwickelter Apparat wie das gemeine MRT-Gerät während einer nur 20-minütigen Untersuchung hervorzubringen imstande ist – und dass es noch dazu die ganze Klaviatur unangenehmer Geräusche zu beherrschen scheint. Vom penetranten Piepsen eines Weckers ohne Ausschaltknopf über das in den Eingeweiden zu spürende Brummen eines uralten Boilers bis hin zur – glücklicherweise sonst nur selten anzutreffenden – Kombination eines bis an seine Grenzen getriebenen Dampfhammers und eines startenden Düsenjets, der sich direkt neben deinem Ohr zu befinden scheint, ist alles dabei.

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To do (Sonntag)