Irgendwann werden die Scharen an Tauben, die immer wieder an der Fassade des gegenüberliegenden Hauses Halt und auf dessen Fensterbänken und Vorsprüngen Rast machen, ihre Schwingen ausbreiten und bei ihrem Abflug das ganze Gebäude mit auf ihre letzte Reise nehmen.
Je kleiner eine Kreatur, desto weniger Bedeutung messen wir ihrem Leben und auch ihrem Tod bei. Ein einzelner am Strand verendeter Wal ist eine Katastrophe, eine Masse an leichtfertig zerdrückten Fruchtfliegen in der Küche hingegen nicht mal das Bewusstsein wert, gerade eine ganze Dynastie ausgelöscht zu haben, einfach so, ohne nachzudenken.
„Lass mal sehen, den Befund … murmelmurmel … ah ja … murmelmurmel … spekulativ … auch spekulativ … murmelmurmel … oha. Ja, das sollte man sich definitiv mal ansehen … murmelmurmel … ok. Sonst noch was?“
– was man nicht unbedingt von seinem Arzt hören möchte, Teil 2
Als erfahrener Hypochonder an der Schwelle zu einem gewissen Alter ist es nicht eben leicht, jedes neuartige Zwicken und Ziehen richtig einzuordnen und die Ruhe zu bewahren. Als wäre dieses unangenehme, mit Sicherheit tödliche Stechen nahe der Herzgegend, das mich garantiert in den nächsten Stunden dahinraffen wird, nicht alleine schon schlimm genug.
Meine Erkältung lässt mich, auch nach Wochen, einfach nicht los. Und ich bin unschlüssig, ob ich sie wegen ihres eindrucksvoll bewiesenen Durchhaltevermögens bewundern oder wegen ihrer offensichtlichen Verlustängste bedauern soll.
Ja, das Licht mag stärker sein, aber die Dunkelheit ist ausdauernder. Geduldig wartet sie darauf, bis ihre Zeit kommen, bis das Licht, völlig entkräftet ob der ständigen Verteidigungsschlachten gegen die sie seit Äonen belagernden Schatten, endlich und endgültig zusammenbrechen wird. Und dann ist sie da, die Finsternis, und wird alles verschlingen, ohne Ausnahme, ohne Erbarmen.
„Er gab sein Leben für diesen einen, einzelnen Stein.“
– mögliche Grabinschrift, Teil 4
Am Wochenende das neue Bett von Ikea zusammengezimmert. Alles lief wie erwartet, wir haben während des ganzen Streitens kaum miteinander aufgebaut.
Die Katze kommt zu mir, maunzt mich an und tritt rücksichtslos auf mir herum, bevor sie lautstark Zugang zu ihrem angestammten Platz in der mithilfe meiner Beine und einer Decke geschaffenen temporären Höhle fordert, wo sie genau so lange liegen bleibt, bis es in der Küche vermeintlich verdächtig zu rascheln beginnt, worauf sie sich, in der Hoffnung auf einen (weiteren) Leckerbissen, aus ihrem Unterschlupf bequemt und mich wieder verlässt, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Und ich könnte nicht zufriedener sein.
Der Kater ist, wie jeder seiner Artgenossen, des Öfteren unschlüssig, ob er nun raus oder rein will. Dementsprechend befindet er sich nicht selten gleichzeitig in der Wohnung und am Balkon, und während man die Tür aufhält und friert, kann man nichts weiter tun als zu warten und Schrödinger zu verfluchen.
Ich finde es immer wieder erstaunlich, welch geradezu höllischen Lärm ein so hochentwickelter Apparat wie das gemeine MRT-Gerät während einer nur 20-minütigen Untersuchung hervorzubringen imstande ist – und dass es noch dazu die ganze Klaviatur unangenehmer Geräusche zu beherrschen scheint. Vom penetranten Piepsen eines Weckers ohne Ausschaltknopf über das in den Eingeweiden zu spürende Brummen eines uralten Boilers bis hin zur – glücklicherweise sonst nur selten anzutreffenden – Kombination eines bis an seine Grenzen getriebenen Dampfhammers und eines startenden Düsenjets, der sich direkt neben deinem Ohr zu befinden scheint, ist alles dabei.
To do (Sonntag)
- alle Aufgaben auf der To-do-Liste verschieben
Multitasking: mit der linken Hand die Balktontür schließen, während man mit der rechten versucht, den Kater vom ver(w)irrten Vogel fernzuhalten, gleichzeitig nach Hilfe ruft und zu verzweifeln beginnt, weil diese scheinbar einfach nicht kommen will, im Gegensatz zum langsam, aber sicher heraufziehenden Krampf im Bein.
Es schüttet wie aus den sprichwörtlichen Eimern, und paradoxerweise genau solche stellt der Cafébesitzer gegenüber auf, um den Regen zu fangen und das Schlimmste für sein Lokal zu verhindern.
Jemand ist offenbar in die für lange Zeit leerstehende Wohnung im Haus gegenüber eingezogen. Ich befürchte, ich werde nun wieder öfter richtige Hosen anziehen müssen …
Naturgesetz: Zieht ein Gewitter auf, zieht der Kater ab.
Tagtraum: wieder wie ein Kind im Brunnen spielen.
In einem verzweifelten Versuch, der Hitze zumindest in Gedanken zu entkommen, richte ich selbige auf Eisberge und -schollen – doch die dazugehörigen Bilder schmelzen in meinem Kopf ebenso dahin wie ihre jeweilige Entsprechung in der Realität.
Traum: Ich muss mich in einer mir fremden Sprache für irgendetwas rechtfertigen, versuche verzweifelt, mich zu verteidigen, gebe dann aber auf, weil ich merke, dass ich mich nicht verständlich machen kann, und höre mitten in einem Satz, der aus mir gänzlich unbekannten Wörtern besteht, auf zu sprechen – und das alles unter den durchdringenden Blicken zahlreicher Gesichter, die mich mit einer kaum verhohlenen, rapide wachsenden Feindseligkeit anstarren.
Pollen, Hitze, Menschen auf den Straßen – zweifellos der nächste Anlauf des Sommers, mich endlich und endgültig zur Strecke zu bringen.
Aus der Kirche gegenüber dringen des Nachts schwer, aber doch wahrnehmbare Orgelklänge, und ich frage mich, ob ich mir das nur einbilde oder tatsächlich jemand in den Abendstunden dem Ruf der Muse folgt.
„Sein erster – und letzter – Schritt Richtung Unsterblichkeit.“
– mögliche Grabinschrift, Teil 3
Unterm Gewölbe
frisch gewaschener Hemden,
dort schreit der Kater.
– (schlechtes) Haiku
Nach den mir in Anbetracht der geringen Anzahl an Stufen völlig übertrieben vorkommenden Schweißausbrüchen frage ich mich, ob diese lediglich Nachwirkung des kürzlich überstandenen Infekts oder womöglich doch einfach Zeichen geradezu lachhafter Kondition sind.
Der Kater maunzt mich an, ich folge ihm – erst zur Tür, dann zum Gang, dann ins Wohnzimmer, dann wieder zum Gang, jeweils mit vielen Kuscheleinheiten und Kopfnüssen dazwischen. Er weiß halt einfach, was er will, nämlich Zuneigung, und zwar so viel wie möglich.